Bücherfrühling 2021, die zweite

Was leider in der letzten Zeit auf meinem Blog viel zu kurz kommt: ausführliche Rezensionen, die sich ein Buch ganz genau ansehen. Das soll wieder anders werden, aber heute ist es noch nicht so weit. Da mir nicht alle Abonennt*innen auf Instagram oder Twitter folgen und wahrscheinlich die wenigsten regelmäßig die Neuigkeiten auf dem Blog anklicken oder sich die Seitenleiste genauer ansehen (in der mobilen Version nicht rechts, sondern ganz unten), schicke ich den heutigen Kurzrezensionen dieses anhaltend tollen Bücherfrühlings ein paar Anmerkungen in eigener Sache voraus. 

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Kurz und Knapp: Bücherfrühling 2021

In den letzten Monaten war auf dem Blog leider nicht viel los, weil ich an meinem eigenen Sachbuch gearbeitet habe, FRAUEN LITERATUR, das im September bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen wird – dazu bald mehr. Da dieser Bücherfrühling aber einer der spannendsten seit langem ist, wird es höchste Zeit, ein paar literarische Neuerscheinungen vorzustellen. Diesmal dabei: fünf deutsche Autorinnen, die sich Themen widmen, von denen bisher viel zu wenig geschrieben und gesprochen wurde, eine Übersetzung aus dem Koreanischen, für die dasselbe gilt, und eine sehr lesenswerte, frisch ins Deutsche übersetzte englische Wiederentdeckung. 

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Bilder von Virginia Woolf

Vor achtzig Jahren, am 28. März 1941, starb Virginia Woolf, die wohl größte Autorin der literarischen Moderne – eine Figur, die bis heute fasziniert und für ganz Widersprüchliches steht. 

„Zwei Bücher über Virginia Woolf sind gerade erschienen – in Frankreich & Deutschland. Das ist ein Alarmzeichen. Ich darf nicht zur Figur erstarren.“ Die Sorge, die Virginia Woolf in diesem Tagebucheintrag vom 24. März 1932 beschäftigt – da war sie fünfzig –, sollte sich als begründet erweisen. Heute ist sie eine Ikone. Und das nicht nur an den literaturwissenschaftlichen Instituten, sondern auch im Bereich der Popkultur. Die Postkarte, die sich in der Londoner National Portrait Gallery am häufigsten verkauft, ist die mit ihrem Bild, und ihr Gesicht findet sich auch auf T-Shirts und Kaffeetassen. Fotos von Virginia Woolf wurden für verschiedene Werbekampagnen benutzt. Anfang der 1990er Jahre ersetzte ihr Gesicht in den Anzeigen der New York Review of Books das von Shakespeare, mit dem die Zeitschrift seit ihrem Bestehen geworben hatte. Auch für den Verkauf weniger intellektueller Dinge wie Kleidung und Bier musste es herhalten, selbst die Kommunistische Partei Roms warb mit Woolfs Bild. Es liegt nahe, sich ihr Gesicht von Andy Warhol vielfach reproduziert vorzustellen, so bekannt sind einige Fotografien – vor allem die Profilaufnahme, die G. C. Beresford von der zwanzigjährigen Virginia Stephen in weißer Bluse machte (oben in der Mitte – das Bild, das am häufigsten für Postkarten & Co verwendet wird), aber auch die Fotos, die Gisèle Freund (in der Collage links) und Man Ray (ganz rechts) von der älteren Virginia Woolf aufgenommen haben. Woolf ist zum geistigen Pendant von Marilyn Monroe geworden. Symbolisiert Monroe den weiblichen Körper, repräsentiert Woolf den weiblichen Geist, gilt Monroe als Sexsymbol, ist Woolf die Intellektuelle. Sie ist die einzige Schriftstellerin der Moderne, die heute in einer Reihe mit Marcel Proust und James Joyce genannt wird. Das Gesicht und den Namen dieser Frau kennt man, selbst wenn man nicht viel mehr wissen sollte oder noch nie etwas von ihr gelesen hat. 

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Dem Vergessen entrissen: Gabriele Reuter – der weibliche Fontane?

Im Herbst 1895 erschienen zwei Romane, deren Protagonistinnen letztlich an der Unmenschlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse zugrundegehen. Die eine ist in ihrer arrangierten Ehe einsam und unglücklich und beginnt eine Affäre. Als diese Jahre später bekannt wird, fordert ihr wesentlich älterer Ehemann den ehemaligen Liebhaber zum Duell und lässt sich scheiden. Auch von ihren Eltern wird die junge Frau verstoßen. Erst lange darauf – sie ist inzwischen todkrank – nehmen sie sie wieder auf. Die andere, ebenfalls eine höhere Tochter im Wilhelminischen Deutschland, versucht sich auf der ihr vorgezeichneten Lebensbahn – Jungfrau, Gattin und Mutter – zurechtzufinden. Sie hat zutiefst verinnerlicht, was von ihr erwartet wird, und will alles richtig machen; die Steine, die ihr in den Weg gelegt werden, machen es ihr jedoch zunehmend unmöglich, auf diesem erwünschten Weg zu bleiben. Sie wird immer unglücklicher mit den wenigen Möglichkeiten, die ihr als Frau zu dieser Zeit im Leben offenstehen. Auch sie fällt schließlich durch das Raster des gesellschaftlich Akzeptierten und endet krank und allein. 

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„Meine Frau schreibt auch ein bisschen“

Was treibt Schriftstellerinnen zum Schreiben? Womit kämpfen sie im Alltag? Wie werden sie wahrgenommen? Die ZEITmagazin-Redakteurin Ilka Piepgras hat ein Buch mit Essays herausgegeben, in denen Autorinnen diesen Fragen nachgehen. Es sind 23 Texte von Autorinnen wie Anne Tyler, Joan Didion und Siri Hustvedt, die zum Teil erstmals ins Deutsche übersetzt wurden, sowie neue Texte deutscher Autorinnen wie Katharina Hagena, Elfriede Jelinek und Sibylle Berg. Ich habe mich mit der Herausgeberin über ihre sehr lesenswerte Auswahl unterhalten.

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3. Nacht-und-Tag-Lesekreis: Brigitte Reimann

Als 1998 der erste Band der Tagebücher von Brigitte Reimann erschien, einer der wichtigsten Schriftsteller*innen der DDR, konnte ich ihn kaum beiseitelegen. Der Verlauf von Reimanns leidenschaftlichen Lieben, der DDR-Alltag, ihr anfänglicher Idealismus, die Entwicklung von Staat und Regime im Laufe der Jahre und das Mit- und Gegeneinander der Schriftsteller*innen des Landes – all das war mit mitreißender Unmittelbarkeit beschrieben, mit einer ganz eigenen Stimme und mit Sinn für Komik. Was ich aus irgendwelchen Gründen bisher trotzdem nie gelesen hatte, war Reimanns einziger, unvollendet gebliebener Roman, Franziska Linkerhand, ein Buch, das für viele Leser*innen große Bedeutung hat, wie mir durch die Aktion #autorinnenschuber klar wurde, und das Kindlers Neues Literaturlexikon „eins der wichtigsten und schönsten Bücher in der gesamtdeutschen Literatur“ nennt.

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Kurz und knapp: Lieblingslektüren der letzten Zeit

„Es gibt verschiedene Arten, gegen ein gebrochenes Herz vorzugehen, aber der Besuch einer Fachtagung dürfte eine der unüblicheren sein.“

So beginnt Barbara Pyms Roman „In feiner Gesellschaft“ und hatte mich damit sofort. Dulcie Mainwaring ist von ihrem Verlobten sitzengelassen worden, hat einige Zeit gelitten und nun beschlossen, sich abzulenken und neue Kontakte zu knüpfen. Das führt dazu, dass sie schon bald nicht mehr allein in ihrem viel zu großen Elternhaus lebt, sondern zusammen mit zwei Frauen, denen sie sich zwar nicht besonders nahe fühlt, mit denen ihr Leben aber fortan eng verknüpft ist. Pym, die oft als Jane Austen des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet wurde, schafft ein Szenario, in dem erstmal niemand die liebt, von der er geliebt wird, und das ist – wie bei Austen – deshalb so gut und so unterhaltsam, weil es so normal ist und so entscheidend und so treffend und ironisch beobachtet. 

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Ein Bild aus blinden Flecken

Warum stellen Banken und Kreditkartenunternehmen so oft die Frage nach dem Geburtsnamen der Mutter? Weil ihn kaum noch jemand kennt, weil er nicht mehr vorkommt, weil er getilgt ist – und damit eine der besten Sicherheitsfragen.

Der Originaltitel von Rebecca Solnits Unziemliches Verhalten lautet wörtlich übersetzt „Erinnerungen an meine Nicht-Existenz“, denn es geht der Autorin um Formen der Auslöschung wie diese. Es geht ihr um den Raum, den Frauen in unserer Kultur nicht einnehmen, nicht einzunehmen haben, und es geht ihr um die Mechanismen, die dafür sorgen. Solnit führt zahlreiche Beispiele aus den unterschiedlichsten Bereichen unserer Kultur an, von der Marginalisierung bis zum Mord, die ein schockierendes, trauriges Gesamtbild ergeben. Ein Bild, an das wir so gewöhnt sind, dass wir ganze Bereiche gar nicht wahrnehmen, ein Bild aus blinden Flecken.

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Porträt der Künstlerin als junge Frau

„Und?“ sagt er, bevor ich zu weit von ihm weggelangen kann, „was macht der Roman?“ Er sagt es, als wäre das Wort meine Privaterfindung. […] Wieviele Seiten hast du jetzt schon?“

„Sowas wie zweihundert.“ Ich bleibe nicht stehen. Bis zu dem Anbau an der Garage sind es nur noch ein paar Schritte.

„Weißt du“, er stößt sich von seinem Auto ab, wartet, bis er meine volle Aufmerksamkeit hat, „ich staune nur immer wieder, dass du glaubst, du hättest etwas zu sagen.“

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