„Meine Frau schreibt auch ein bisschen“

Was treibt Schriftstellerinnen zum Schreiben? Womit kämpfen sie im Alltag? Wie werden sie wahrgenommen? Die ZEITmagazin-Redakteurin Ilka Piepgras hat ein Buch mit Essays herausgegeben, in denen Autorinnen diesen Fragen nachgehen. Es sind 23 Texte von Autorinnen wie Anne Tyler, Joan Didion und Siri Hustvedt, die zum Teil erstmals ins Deutsche übersetzt wurden, sowie neue Texte deutscher Autorinnen wie Katharina Hagena, Elfriede Jelinek und Sibylle Berg. Ich habe mich mit der Herausgeberin über ihre sehr lesenswerte Auswahl unterhalten.

Frau Piepgras, warum nur Texte von Autorinnen? Warum sind schreibende Frauen ein Thema für sich?

Schriftstellerinnen haben immer noch mit stereotypen Rollenklischees zu kämpfen. Zum Beispiel wird ihr Schreiben oft genug als Hobby betrachtet, nicht als Beruf. Als etwas, das man so nebenher macht, wie in den Keller gehen und Malen nach Zahlen auf der Staffelei machen, eine Beschäftigung eben, keine ernsthafte Arbeit. LeïlaSlimani zum Beispiel war Journalistin, und als sie kündigte, um sich ganz dem Schreiben zu widmen, wurde sie von den Kolleg*innen gefragt: „Willst du dich mehr um deine Familie kümmern?“ „Nein, ich will schreiben.“ „Ach, wie schön, dann hast du mehr Zeit für deine Kinder.“ „Nein, ich will schreiben.“ – Das ist klassisch. Und bei Katharina Hagena gibt es diese Szene auf dem Podium, wo der Moderator so gönnerhaft zu ihr sagt: „Ach, Sie schreiben. Meine Frau schreibt auch ein bisschen.“ Das schwingt alles mit, damit setzen sich Frauen auseinander, dagegen arbeiten sie an. Und viele Entscheidungen werden, glaube ich, aus dem Impuls getroffen, diesen Klischeebildern nicht zu entsprechen. Das betrifft allein Frauen.

Den Impuls für die Anthologie gab ein Essay von Anne Tyler, „Ich schreibe nur“, der nun zum ersten Mal auf deutsch vorliegt. 

Das ist ein Text, den ich in Amerika mal zufällig gefunden hab und der sozusagen die Keimzelle des Buches bildet. Tyler beschreibt darin auf sehr charmante Weise, wie sie sich als Mutter von zwei Mädchen und Frau eines ebenfalls Schreibenden, der im Hauptberuf Kinderarzt ist, immer wieder Schreibzeit abtrotzt. Sie hat den Text schon vor vielen Jahren geschrieben, aber er ist immer noch verblüffend gültig in dem Versuch, in diesem überreizten Alltag Zeit zu finden, um konzentriert zu arbeiten. Das war der Ausgangspunkt, und darüber ist dann die Idee entstanden, ähnliche Texte zu sammeln und auch deutsche Autorinnen zu fragen. Ich habe im englischsprachigen Bereich bei den Autorinnen, die ich besonders schätze, regelrecht gewühlt, um zu gucken, ob die schon mal was dazu geschrieben haben.

Weibliches Schreiben wird als Tätigkeit weniger ernstgenommen. Wird ihren Texten auch anders begegnet, werden sie anders besprochen als ihre männlichen Kollegen?

Auf jeden Fall. Das ist ein Thema, das sich durch mehrere Texte der Anthologie zieht. Sibylle Berg schreibt, ihr erster Roman sei dafür kritisiert worden, dass ihre Sprache zu männlich sei. Da hatte sie über viele Jahre ihren eigenen Stil entwickelt, und dann kommt sie damit raus und ihr wird vorgeworfen, der sei zu männlich – das ist ja entmutigend. Haben Sie schon mal gehört, dass jemand über einen Mann sagt: Dieser Autor schreibt aber weiblich? Und umgekehrt schreibt Antonia Baum, sie habe sich anfangs bewusst als Schriftsteller bezeichnet, nicht als Schriftstellerin, weil sie eben nicht diesem Klischeebild der zarten, selbstmordgefährdeten, müden Poetin entsprechen wollte, die sich noch große Poesie abringt, bevor sie vom Hochhaus springt. Kann man auch gut nachvollziehen. 

Mir begegnet auch öfter, dass Autorinnen keinesfalls unter „weiblichem Schreiben“ subsummiert werden wollen, weil das eben oft als Abwertung gemeint ist und verstanden wird, als Unterkategorie. In dem Zusammenhang ist auch interessant, dass in einigen Texten das Thema Neid auf die Erfolge männlicher Kollegen angesprochen wird, weil die es so viel leichter zu haben scheinen, ernstgenommen zu werden.

Das ist auch ein Unterschied zu männlichen Autoren, die Dinge wie Neid und Zweifel und die Mühseligkeit der Entstehung dieser komplexen Werke in entsprechenden Texten selten so freimütig thematisieren.

Was auch an mehreren Beiträgen deutlich wird: Wie wichtig nicht nur das sprichwörtliche Zimmer für sich allein ist, sondern das leere Haus, um mal am Stück denken zu können. Und wie wichtig die Rolle des Partners oder der Partnerin ist, wenn Kinder da sind.

Das beschreibt Katharina Hagena so toll. Ihr Mann ist mit den Kindern in den Urlaub gefahren, damit sie ihren Roman weiterschreiben kann, sie war aber noch nicht fertig, als er zurückkam…

…und dann ist er gleich wieder losgefahren. Toll!

Ja, das ist ein ganz, ganz schönes Beispiel, ein verständnisvoller, guter Mann. Umgekehrt auch wieder dieses Beispiel, dass sie heulend im Planschbecken steht, während er mit der Verlegerin über das Buch verhandelt, das ihm angetragen wurde.

Das beschreiben ja mehrere Autorinnen der Anthologie: dass es in der unmittelbaren Umgebung Männer gibt, denen beim Schreiben und Veröffentlichen einfach alles zufällt und die mit all dem keine Mühe haben, ganz unabhängig von Kindern. Da stellt sich auch die Frage, wem von Verlagsseite was zugetraut und angetragen wird, ob nicht auch da immer noch geschlechtsbezogene Vorurteile herrschen, die das alles weiter verfestigen.

Das ist der Grundkonflikt. Das ist mir auch durch die Anthologie erst richtig bewusst geworden, wie strukturell verfestigt das ist, und dass es eben Jahrhunderte zurückgeht, dass Frauen in den Künsten so wenig auftauchen, keine eigenen Stimmen entwickeln konnten, weil sie entweder die Möglichkeiten nicht hatten zu arbeiten, oder weil sie nicht wahrgenommen wurden. Und dass letztlich bei der Kunst von Frauen weniger Substanz erwartet wird als bei Männern, das wirkt eben noch extrem in die heutige Zeit hinein, auch das zieht sich ja durch die Texte der Anthologie: der letztlich sehr sympathische Zorn darüber. Vor allem bei Elfriede Jelinek, die schreibt, ihr fehle immer nur ein Wort in der Debatte, nämlich Verachtung. Und obwohl das jetzt zunehmend besser wird und in den Redaktionen geschaut wird, ob es einen vernünftigen Frauenanteil gibt, ob es gleichberechtigt zugeht, werden Debatten nach wie vor von Männern losgetreten und unter Männern geführt, und Männer beziehen sich auch untereinander auf Werke von Männern.

Dass sich das prozentuale Verhältnis ändert, heißt ja auch noch nicht, dass die Verachtung verschwunden wäre, die der Kunst von Frauen so oft entgegengebracht wird. Ich meine, gerade von den sprichwörtlichen alten weißen Männern kommt dann ja gern, darauf müsse man halt heutzutage achten, sonst könnte es Ärger geben. Aber das heißt ja nicht, dass die Geringschätzung verschwunden wäre, mit der Literatur von Autorinnen in diese Frauenschublade gepackt wird. 

Genau.

Die Frage ist ja: Muss das so ein ewig langer, zäher Prozess sein, oder was müsste passieren, um das aufzubrechen?

Es passiert schon was. Deborah Levy schreibt ja, dass man als Schriftstellerin lernen muss, lauter zu sprechen und nachdrücklicher seine Stimme zu erheben und sich selber ins Gespräch zu bringen – das ist durch diese lange strukturelle Vorgeschichte eben auch etwas, was Frauen nicht so gelernt haben. Vielleicht dachten sie auch zu lange, letztlich käme es nur aufs Werk an und auf die Perfektion des Buches, das man veröffentlicht, aber das reicht ja gar nicht mehr. Heutzutage muss man ja viel mehr auch eine Autor*innenpersönlichkeit entwickeln und öffentlich präsent sein und sich in Debatten schmeißen, auf Podien sitzen und mit lauter Stimme und dem entschiedenen Auftreten seine Position verteidigen. Das müssen Frauen, glaube ich, zum Teil noch lernen, oder Geschmack dran finden, das mögen ja auch nicht alle so. Aber nur wenn sich das stärker entwickelt, wird es eine gleichberechtigtere Wahrnehmung geben. Es ist ein langer Prozess, der sich eben auch nicht verordnen lässt.

Frau Piepgras, ich danke Ihnen für das Gespräch. 

Ilka Piepgras (Hg.)
Schreibtisch mit Aussicht
Schriftstellerinnen über ihr Schreiben
Kein & Aber Verlag
288 Seiten
23 Euro

Veröffentlicht von

Nacht und Tag Literaturblog

Leserin, Autorin, Übersetzerin

4 Kommentare zu „„Meine Frau schreibt auch ein bisschen“

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