Christian Kauffmann mag keine Überraschungen und keine Unwägbarkeiten. Er ist kein Mann der Tat, er guckt lieber zu und tut, was von ihm erwartet wird, emotionale Stürme sind ihm fremd. Vielleicht ist er deshalb auf eine renommierte Butler-Schule gegangen und nimmt seinen ersten Job bei einer mehr als gut situierten Züricher Familie an. Denn dort hat alles seine Ordnung, und auch er hat seinen klar bestimmten Platz, den des dienenden, die Ordnung erhaltenden Beobachters. Und es gibt Einiges zu beobachten im Hause Hobbs. Da ist die schöne, lässig-ironische Frau Hobbs, von der Christian so beeindruckt ist, dass er sich von ihr in Robert umbenennen lässt. Da sind ihr staubtrockener, vielbeschäftigter Bankiersgatte und dessen lustiger Zwillingsbruder, ein Künstler, der im Gartenpavillon lebt. Und dann sind da die Kinder, mit denen „Robert“ so gar nichts anfangen kann.
Wer hier wen ausnutzt, wer mit wem schläft, wer welches Kind gezeugt hat und wer wen auf dem Gewissen hat, das dämmert zwar den Leser*innen langsam, Robert jedoch zieht eigentlich ständig die falschen Schlüsse. Er hat einfach zu wenig Lebenserfahrung und zu wenig Fantasie, um menschliche Verhaltensweisen richtig zu interpretieren. Da sich uns gewisse Interpretationen jedoch aufdrängen, ist das ein großer Lesespaß. Aber dabei belässt es Verena Rossbacher nicht, auch wir werden in die Irre geführt und liegen nicht selten daneben. Es werden immer neue höchst originelle, dabei stets stimmige Figuren eingeführt, die zunächst Statist*innen zu sein scheinen, letztlich aber alle eine tragende Bedeutung haben. Auch bei der Handlung geht am Ende alles auf. Um Hubert Winkels zu zitieren: Das Geschehen wirkt zunächst völlig abstrus und dann immer wahrscheinlicher.
All das hat eine enorme Komik und ist so üppig, süffig, fantasievoll und barock, wie es die deutschsprachige Gegenwartsliteratur selten ist. Die menschlichen Abgründe, die sich dahinter verbergen, sind jedoch echt, und sie tun weh. Denn hinter all dem Champagner und den Flirts, der Gemütlichkeit und den Späßen stecken so viel Gier, Zynismus und innere Leere, dass es nicht zu ertragen ist. Folgerichtig gibt es gleich mehrere Tote in diesem Roman. Und natürlich kann auch der Erzähler nicht reiner Beobachter bleiben. Eine von Frau Hobbs gewünschte Konzertreise ins beschauliche Feldkirch, aus dem er stammt, führt dazu, dass die Figuren aus seiner Vergangenheit auf die seiner Gegenwart treffen. Roberts Freunde leben ein deutlich weniger glamouröses Leben auf dem Land und stecken zum Teil ernsthaft in der Krise. Dass Roberts zwei Welten kollidieren, gefällt ihm gar nicht, ist aber vielleicht genau, was er braucht, muss er sich so doch mit seinen alten Freunden und seinen Arbeitgebern erstmals wirklich auseinandersetzen. Sich weiter im Hintergrund zu halten ist nicht mehr möglich, er muss agieren im menschlichen Chaos.
Bei Verena Rossbacher sitzt jede Nebenfigur, jede Hauptfigur sowieso, und man möchte sie in ihrer verschrobenen Menschlichkeit am liebsten alle persönlich kennenlernen, wenn nicht adoptieren. Ich war Diener im Hause Hobbs ist ein extrem unterhaltsamer, komischer, spannender, schlau konstruierter und in jeder Hinsicht kluger Roman. Ich bin jetzt schon gespannt, was sich diese Autorin als nächstes einfallen lässt.
Nicole Seifert
Verena Rossbacher
Ich war Diener im Hause Hobbs
Roman
Kiepenheuer & Witsch
380 Seiten
22 Euro
[…] Eine opulente Tragikomödie, die in den vornehmsten Kreisen Zürichs spielt […]
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klingt sehr interessant, danke…
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[…] Hesselholdt und einer von Virginia Woolf. Ein Lieblingsroman aus den letzten Jahren stammt von Verena Rossbacher, von der es, wie ich gehört habe, wohl bald einen neuen Roman gibt. Und ein anderes Lieblingsbuch […]
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