Wenn ein Buch mit einem unerwarteten Heiratsantrag beginnt, der überrascht angenommen wird, dann ist die entscheidende Frage, ob es am Ende auf das klassischste aller Happy Endings hinauslaufen wird oder nicht. Veblen, die Protagonistin von Elizabeth McKenzies Roman Im Kern eine Liebesgeschichte, ist Anfang dreißig und arbeitet in Palo Alto, Kalifornien, für eine Zeitarbeitsfirma. Ihren Freund Paul kennt sie noch gar nicht so lange, und eigentlich ist sie mit ihrem Leben ganz zufrieden, so wie es ist. Als sie nach dem Antrag wieder allein ist, gesteht sie sich das Ausmaß ihres Hin- und Hergerissenseins ein:
Zusammen irgendetwas Kleines essen, sich über den Tag austauschen, gemeinsam aufwachen und Zukunftspläne schmieden – all das glich einem bacchantischen Fest, wenn man das Alleinsein gewohnt war.
Also, warum nicht auch heiraten? Wo, wie schnell? Auf einmal lagen endlos viele Entscheidungen an. Wenn man normal tickte, schoss es Veblen immer wieder durch den Kopf. Ein Teil von ihr wollte all das tun, was Bräute eben tun, während der andere sich bereitwillig ihrer Geringschätzung für solche Sachen hingab.
So ganz normal tickt Veblen nämlich nicht, das glaubt sie jedenfalls selbst, und die Leser*innen werden ihr da zustimmen. Nur ob Paul das auch schon weiß? Bisher hat sie ihm zum Beispiel nicht gesagt, dass sie mit einem Eichhörnchen befreundet ist, mit dem sie auch spricht. Oder dass sie Antidepressiva nimmt. Und sie ist sich auch grundsätzlich ihrer Einstellung zum Heiraten gar nicht so sicher. Schließlich hat Kierkegaard gesagt „Heirate und du wirst es bereuen, heirate nicht und du wirst es auch bereuen“ – und das sicher nicht ohne Grund.
Keine große Hilfe ist Veblen ihre Freundin, ihres Zeichens Psychologin, die ihr das Buch Die Ehe ist tot – lang lebe die Ehe von Adolf Guggenbühl-Craig in die Hand drückt. Und von vornherein gegen die Hochzeit ist Veblens Mutter, eine meinungsstarke hypochondrische Narzisstin – dazu braucht sie Paul nicht mal kennenzulernen. Veblens Mutter trägt auch die Verantwortung dafür, dass sie nach dem Ökonom und Soziologen Thorstein Veblen benannt wurde, mit dessen Leben und Tun Veblen sich deshalb bestens vertraut gemacht und dessen antimaterialistische Ansichten sie verinnerlicht hat. Bei der Entscheidung, die Veblen zu treffen hat, nützt ihr der Soziologe jedoch wenig, genau so wenig wie der ebenfalls gern von ihr zurate gezogene Psychologe und Philosoph William James.
Nicht ganz so nachdenklich, aber auch längst nicht so fantasievoll wie Veblen ist Paul, ihr Freund und nunmehr Verlobter. Er ist Arzt und forscht zur Prävention von Kriegsverletzungen. Als Paul, der in einer Hippie-Kommune aufgewachsen ist, von einem Pharma-Giganten ein Angebot bekommt, das er nicht ablehnen kann, hat das nicht nur für seine Arbeit Konsequenzen. Reflexhaft reagiert er auf seine neue Situation auch mit materiellen Wünschen – ein beeindruckender Diamantring, ein größeres Haus, vielleicht auch ein Boot. Veblen ist befremdet.
Was in einer Kürzestzusammenfassung zunächst klingen könnte wie ein herkömmlicher Unterhaltungsroman, ist alles andere als das. Als Spannungsbogen funktioniert die Frage bestens, ob Veblen und Paul am Ende heiraten werden, zumal mehrere hinreißende Nebenfiguren und Handlungsstränge keine Minute Langeweile aufkommen lassen und Lacher garantieren. Aber die Fragen, die dieser Roman aufwirft, haben ideologische Dimensionen, die Figuren psychologische Tiefe. Veblen weiß zwar, wie man die Fehler und Schwächen anderer übersieht, insbesondere die ihrer Mutter und die von Paul, sich selbst macht sie es aber immer wieder schwer. Sie neigt dazu, sich unter Druck zu setzen, und ist unnachsichtig mit ihren Macken und Meisen – wie zum Beispiel der Freundschaft mit dem Eichhörnchen, in der Mythologie ein Schelm und Wanderer zwischen den Welten.
Was Im Kern eine Liebesgeschichte so unverwechselbar macht, ist vor allem anderen der Erzählton. Die New York Times bezeichnete den Roman als „screwball comedy with a dash of mental illness“, also als „Komödie mit einem Schuss Wahnsinn“. Bei aller Komik und Leichtigkeit ist Elizabeth McKenzie mit ihrem dritten Roman, der in den USA auf der Longlist für den National Book Award stand und den Stefanie Jacobs aufs Schönste ins Deutsche übersetzt hat, ein wahrhaftiges Buch gelungen über alte und neue Bindungen, übers Rebellieren, Verharren und Loslassen. Im Kern eine Liebesgeschichte feiert die Macken und Meisen, die manchmal eben lebensnotwendig sind, um nicht den Verstand zu verlieren.
Nicole Seifert
Elizabeth McKenzie
Im Kern eine Liebesgeschichte
Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs
Roman
DuMont Buchverlag
480 Seiten
24 Euro
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