Kurz und knapp: Drei Höhepunkte aus dem März

Drei Lese-Highlights im März waren die gerade erschienenen Romane von Sarah Kuttner und Marijke Schermer sowie die – bisher noch nicht ins Deutsche übersetzten – Essays der Irin Emilie Pine. Alle drei Bücher kann ich von Herzen empfehlen.

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Es ist lange nicht mehr vorgekommen, dass ich für ein paar Stunden einfach alles stehen und liegen lassen musste, um ein Buch durchzulesen. Kurt, mein erstes Buch von Sarah Kuttner, hat mich sehr berührt. Die Autorin findet wunderbare, treffende Szenen, Worte und Bilder, um zu beschreiben, wie ihre Protagonistin Lena sich fühlt im neuen Haus in der Brandenburger Einöde mit ihrem Freund Kurt und dessen sechsjährigem Sohn Kurt, der jede zweite Woche bei ihnen lebt. Und sie erzählt diesen Sechsjährigen so dermaßen echt und zum Verlieben, dass man selbst um ihn trauert, als er plötzlich stirbt (das passiert sehr früh und steht auch im Klappentext). Was anschließend mit Lena und ihrem Freund geschieht, wie sie jeder für sich vereinsamen, den Abgrund nicht überbrücken können, und dann ganz langsam wieder ins Leben und zueinander finden, wird beschrieben, als wäre es nicht weiter schwer – ist es aber natürlich. Ich liebe diese Figuren und den Ton des Buches und bewundere Sarah Kuttner sehr dafür, solche komplexen Themen und Gefühle so erzählen zu können. Große Leseempfehlung! 

Sarah Kuttner
Kurt
Roman
S. Fischer Verlag
240 Seiten
20 Euro

 

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„Wie viel Aufrichtigkeit verträgt eine Beziehung, wie viel Schweigen?“ – Dieser Frage geht die Niederländerin Marijke Schermer in ihrem klugen schmalen Roman Unwetter nach. Emilia ist berufstätig, glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie außerhalb von Amsterdam direkt hinterm Deich. Ein Bilderbuchleben, das bedroht ist, als sie durch eine wieder auftauchende Erinnerung aus dem Gleichgewicht gerät. Ihrem Mann hat sie von dem furchtbaren Erlebnis, das ganz zu Beginn ihrer Bekanntschaft stattfand, nie etwas erzählt, und das aus guten Gründen:

Im ersten Sommer ihrer Beziehung hat sie den Tenor gesetzt, als sie beschloss, ihm nicht zu erzählen, was passiert war. Was passiert ist, macht mich nicht aus, rechtfertigte sie das sich selbst gegenüber, im Gegenteil: Es würde sich vor mich schieben und ihm die Sicht auf mich nehmen. Es ist ein Akt der Autonomie zu entscheiden, ob ein Vorfall eine Rolle in deinem Leben spielen darf oder nicht.

Nun ist Emilia hin und her gerissen und steht vor einer neuen Frage: Wie kann man so lange schweigen und dann plötzlich erzählen?

Marijke Schermer spannt den Beginn von Emilias Ehe und ihr mögliches Ende dramaturgisch gekonnt zusammen. Die Ambivalenz der ersten gemeinsamen Zeit, die symbiotische, besondere Nähe zu dritt nach der Geburt des ersten Kindes, dann die Gleichzeitigkeit von Glück und Überforderung des Mutterseins, diese Aufhebung der Grenzen, beschreibt sie so wunderbar, wie ich es ähnlich tief empfunden und klug beobachtet nur sehr selten gelesen habe. Psychologisch und literarisch überzeugend, sehr atmosphärisch, ohne eine Wort oder eine Figur zu viel – Unwetter hat mich auf ganzer Linie überzeugt.

Marijke Schermer
Unwetter
Roman
Deutsch von Hanni Ehlers
Kampa Verlag
192 Seiten
20 Euro

 

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Was für eine tolle Form ist doch der Essay! Nachdem ich die sechs in diesem Band versammelten sehr persönlichen Essays der Irin Emilie Pine gelesen hatte, wollte ich erstmal überhaupt nichts anderes mehr lesen, weil ich mir Interessanteres, Relevanteres, Wahrhaftigeres als diese autobiografischen Texte kaum vorstellen konnte. Emilie Pine nähert sich schreibend einigen prägenden Erfahrungen, die sie einzuordnen versucht, nicht zuletzt, um sich über ihre eigene Rolle darin klar zu werden. Es geht um die Erfahrung, ihrem kranken Vater eine Art Mutter zu sein, um die Entscheidung für Kinder und die Erfahrung, keine bekommen zu können, es geht um Perfektionismus und seine Folgen, um verinnerlichtes Rollenverhalten (internalisierter Sexismus bei Frauen – hochinteressantes Thema!) und um den seelischen Zusammenbruch. Das alles ist so persönlich, dass man sich auch dort darin wiederfindet, wo die eigene Geschichte anders ist. Es sind Erfahrungen, die sehr typisch sind für unsere Zeit, und sie werden so erhellend reflektiert, so klug – ein großer Gewinn, dieses Buch!

Emilie Pine
Notes to Self
Essays
Hamish Hamilton
224 Seiten
ca. 13 Euro

Veröffentlicht von

Nacht und Tag Literaturblog

Leserin, Autorin, Übersetzerin

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