Von sexistischen Stammtischweisheiten und der Geschichte der Misogynie

Die Geschichte des Frauenhasses ist furchtbar und traurig, und sie ist hochinteressant. Wer sich damit beschäftigt, wie tief verwurzelt und allgegenwärtig die Misogynie auch in unserer vermeintlich so aufgeklärten westlichen Kultur ist, sieht unsere Gegenwart mit anderen Augen. Die meisten sind nur so daran gewöhnt, dass sie sie nicht als solche wahrnehmen. Es ist eine Frage der Bildung und der Aufklärung. Deshalb stelle ich zum Internationalen Frauentag ein paar Bücher zum Thema vor. Mary Beard, Jack Holland, Virginie Despentes und Kate Manne öffnen einem wieder und wieder die Augen. Die Geschichte der Misogynie sollte genauso Teil des Schulunterrichts sein wie die des Kolonialismus oder des Antisemitismus, denn sie gehört zu unserer Kulturgeschichte, und nur Bildung und Aufklärung werden bewirken können, dass auf dieses Thema nicht mehr mit einem Abwehrreflex reagiert wird, sondern sachlich und mit der nötigen Offenheit. Damit Mädchen von Anfang an wissen, was hinter bestimmten Herabwürdigungen steckt, statt sie persönlich zu nehmen und sich einschüchtern zu lassen. Damit nicht jeder einzelne Mann Kritik persönlich nimmt und glaubt, sich verteidigen zu müssen, wo es um Strukturen geht, um den Rahmen. Wir haben alle nur zu gewinnen, wenn uralte Rollenbilder geöffnet werden, wenn mehr möglich wird, für alle.

Jack Holland, einem der bekanntesten Journalisten Irlands, ist die fundierte Monografie Misogynie, Die Geschichte des Frauenhasses zu verdankenerschienen bei Zweitausendeins. Der Autor führt uns historisch und kulturhistorisch versiert einmal quer durch die Geschichte, vom alten Rom über die Aufklärung und die Viktorianer bis ins 21. Jahrhundert. Geeignet für alle, die erstmal Fakten brauchen. In ihrem Nachwort schreibt Marlene Streeruwitz: „Die Geschichte der Frauenverachtung. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jede Form von Selbstbild einer Frau. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jeden Mann, seine kulturelle Rolle reflektieren zu können. Diese Geschichte zu kennen, heißt den schrecklichsten Teil der Geschichte überhaupt begreifen zu müssen. Das ist Schwerarbeit. Das ist unerträglich. Sich aus diesem Wissen sofort mit Hilfe der Verdrängung herauszustehlen nur allzu verständlich. Trotzdem. Diese Geschichte der Frauenverachtung. Sie kann nicht oft genug erzählt werden.“

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Jack Holland
Misogynie, Die Geschichte des Frauenhasses
Aus dem Englischen von Waltraud Götting
Zweitausendeins
405 Seiten
9,90 Euro

In King Kong Theorie schreibt die bekannte französische Autorin Virginie Despentes auf nur 160 Seiten über die Sozialisation von Mädchen, die noch immer – denn so leicht lassen sich 3000 Jahre nicht abschütteln – dazu erzogen werden zuzuhören, unauffällig zu sein, verständnisvoll zu sein, sich zu kümmern und zurückzustecken. (Natürlich hat sich schon viel geändert, aber es ist noch viel zu viel davon da.) Despentes schreibt über Prostitution und Vergewaltigung und über das Patriarchat, sie ist voll Wut – und es ist so wahr und tut so gut. Wer verstehen will, warum Frauen gerade sehr wütend sind: Lesen. Wer irgendwie die ganze Aufregung nicht begreift, wir haben es doch gut, und ist das nicht auch irgendwie sehr unweiblich, so wütend zu sein? Lesen!

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Virginie Despentes
King Kong Theorie
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz
KiWi
160 Seiten
10 Euro

 

„Frauen wollen ja gar nicht in Führungspositionen“, „Mittlerweile werden Männer diskriminiert“, „Qualität statt Quote“, „Verstehst du keinen Spaß?“ – Könnt Ihr auch nicht mehr hören? Dann empfehle ich No More Bullshit, Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten, unter dem Namen Sorority herausgegeben von mehreren Autor*innen aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst. Im ersten Teil werden Argumente und Haltungen entlarvt, mit denen man sich ständig konfrontiert sieht, wenn man sich auf einschlägige Diskussionen einlässt, im zweiten wird Thema für Thema gekontert, entmythisiert und entgiftet. Übrigens auch zu Themen wie „Also, ich fühle mich gar nicht unterdrückt“, schließlich sind die Lager bei diesem Thema nicht nach Geschlechtern geteilt. Sehr nützlich und dabei sehr unterhaltsam.

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Sorority (Hg)
No More Bullshit
Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten
Kremayr & Scheriau
192 Seiten
19,90 Euro

 

Dass es bei Misogynie nicht um den Hass einzelner Männer auf einzelne Frauen geht, sondern um etwas Strukturelles, kulturell tief Verankertes, macht Kate Manne, Professorin für Philosophie an der Cornell University,  in ihrem gerade bei Suhrkamp auf deutsch erschienenen Buch Down Girl deutlich. Anhand zahlreicher aktueller Beispiele nimmt sie Geschlechter-Normen unter die Lupe und zeigt, dass Misogynie der Versuch ist, eine Unterscheidung zu treffen zwischen den „guten“ Frauen, die den Männern die ihnen aus ihrer Sicht zustehende Fürsorge und Anerkennung zukommen lassen, und den „schlechten“, die die männliche Vorherrschaft angreifen. 

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Kate Manne
Down Girl: Die Logik der Misogynie
Deutsch von Ulrike Bischoff
Suhrkamp
500 Seiten
32 Euro

Auf dieses schmale Büchlein von Mary Beard kann ich gar nicht oft genug hinweisen: Kurz, sachlich und sehr gut verständlich zeichnet die britische Historikerin in zwei hochinteressanten Vorträgen nach, dass und wie Frauen in der abendländischen Kultur seit den Griechen und Römern der Mund verboten wurde. Das Faszinierende und Erschreckende daran: Die Art und Weise, wie Frauen, ihre Ansichten und Argumente lächerlich gemacht werden, lassen sich bis heute nachverfolgen. Worüber Mary Beard hier aufklärt, das sollte Schulstoff sein. Dringende Leseempfehlung für absolut jede und jeden.

Mary Beard
Frauen & Macht
Ein Manifest
Deutsch von Ursula Blank-Sangmeister
S. Fischer Verlag
112 Seiten
12 Euro

Veröffentlicht von

Nacht und Tag Literaturblog

Leserin, Autorin, Übersetzerin

2 Kommentare zu „Von sexistischen Stammtischweisheiten und der Geschichte der Misogynie

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