Vom Welt-Erzählen und vom Ich-Erzählen

Laudatio auf Katrin Seddig im Rahmen der Verleihung des Hubert-Fichte-Preises am 2. September 2021 im Literaturhaus Hamburg

„Es ist gut, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in diesen Tagen solidarisch zusammenstehen“ – Dieser Satz von Olaf Scholz zu den Ereignissen rund um den G20-Gipfel 2017 ist Katrin Seddigs Roman Sicherheitszone vorangestellt. 

Von Solidarität haben die Straßenszenen und Nachrichtenbilder wenig erzählt. Es waren brennende Barrikaden zu sehen, Polizei und Demonstrierende, die sich bekämpfen. Hamburger und Hamburgerinnen auf beiden Seiten. Katrin Seddig hat für ihren jüngsten Roman ganz nah herangezoomt an ein Ereignis, das die Stadt gespalten hat, an diesen Gipfel, der für viele ein Schock war. Sie hat die sich gegenüberstehenden Gruppen von Nahem gezeigt und auch die vermeintlich Unbeteiligten. In Sicherheitszone sind sie alle Teil einer Familie, mit der Nähe, aber vor allem auch mit der Distanz, die das mit sich bringt. 

Auch von Helden, wie sie nach G20 von der Politik und Teilen der Presse beschworen wurden, erzählt dieser Roman nicht. Gerade Katrin Seddigs Polizist ist kein Held, sondern ein Mensch mit Zweifeln und Schwächen, der Fehler macht, genau wie seine Kollegen und Kolleginnen. Der Roman zieht diese öffentlichen Zuschreibungen nicht nur in Zweifel, er zeigt ihre Absurdität. 

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Menschen, die heroisch sind, interessieren mich nicht

Heute Abend bekommt die Autorin Katrin Seddig für ihr schriftstellerisches Werk von der Stadt Hamburg den Hubert-Fichte-Preis verliehen, der alle vier Jahre an eine*n in Hamburg lebende*n Schriftsteller*in vergeben wird. Ich durfte in diesem Jahr Mitglied der Jury sein und freue mich ganz besonders über diese Gewinnerin, die ich im Vorfeld der Preisverleihung getroffen habe. Wir haben über ihre Lieblingsautor*innen gesprochen, über den G20-Gipfel in Hamburg, der den Hintergrund für ihren jüngsten Roman Sicherheitszone bildet, und darüber, dass unpolitisch sein auch eine politische Haltung ist.

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Kurz und knapp: Lieblingslektüren der letzten Zeit

„Es gibt verschiedene Arten, gegen ein gebrochenes Herz vorzugehen, aber der Besuch einer Fachtagung dürfte eine der unüblicheren sein.“

So beginnt Barbara Pyms Roman „In feiner Gesellschaft“ und hatte mich damit sofort. Dulcie Mainwaring ist von ihrem Verlobten sitzengelassen worden, hat einige Zeit gelitten und nun beschlossen, sich abzulenken und neue Kontakte zu knüpfen. Das führt dazu, dass sie schon bald nicht mehr allein in ihrem viel zu großen Elternhaus lebt, sondern zusammen mit zwei Frauen, denen sie sich zwar nicht besonders nahe fühlt, mit denen ihr Leben aber fortan eng verknüpft ist. Pym, die oft als Jane Austen des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet wurde, schafft ein Szenario, in dem erstmal niemand die liebt, von der er geliebt wird, und das ist – wie bei Austen – deshalb so gut und so unterhaltsam, weil es so normal ist und so entscheidend und so treffend und ironisch beobachtet. 

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