„Einige Herren sagten etwas dazu“

In dieser Woche ist mein neues Buch erschienen, in dem es um die Autorinnen der Gruppe 47 geht. Denn es waren auch Frauen bei den legendären Treffen der Nachkriegszeit, neben den bekannten Namen Günter Eich und Wolfdietrich Schnurre, Günter Grass und Heinrich Böll, Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger. Die eine Autorin, die unverzichtbar zur Gruppengeschichte gehört, ihre Schlumpfine gewissermaßen, ist Ingeborg Bachmann, die verehrt, aber auch mit Häme überzogen wurde wie keine andere. Annähernd alle anderen Frauen wurden im Zuge der Literaturgeschichtsschreibung und der Legendenbildung mehr oder weniger gründlich aus der Geschichte herausgeschrieben: Ilse Schneider-Lengyel, die Gastgeberin des ersten Treffens, die eben nicht nur Gastgeberin war, sondern Fotografin, Ethnologin und Autorin. Mit ihren surrealistisch geprägten Gedichten wussten die Kriegsheimkehrer nichts anzufangen und machten sich über sie lustig. Ruth Rehmann, die 1958 ein Kapitel aus dem Roman las, an dem sie gerade arbeitete, und Begeisterung und Anerkennung dafür erntete – nur leider las am Tag darauf ein weitgehend unbekannter Grafiker und Lyriker ebenfalls aus seinem unveröffentlichten Roman. Er hießt Die Blechtrommel und begeisterte noch viel mehr. Gabriele Wohmann, deren genaue Schilderungen von Paarbeziehungen der Mentalitätsgeschichte eines ganzen Milieus gleichkommen. Gisela Elsner, deren scharfe Satiren auf die Wohlstandsgesellschaft den Zuhörenden zu viel waren. Und noch einige andere Autorinnen, die eine Entdeckung wert sind.

Aus meinen Recherchen für mein Buch FRAUEN LITERATUR, Abgewertet, Vergessen, Wiederentdeckt habe ich gelernt, dass der Ausschluss von Autorinnen aus der Literaturgeschichte und dem Kanon mit der vielbeschworenen „Qualität“ ihres Werks rein gar nichts zu tun hat. Als ich mich vor zwei Jahren an dieses neue Thema machte, ging es mir deshalb erstmal darum, die Autorinnen kennenzulernen, die bei diesen Treffen dabei waren, und sie wieder ans Licht zu holen, ihr Leben und ihr Werk vorzustellen. Je mehr ich fand, desto deutlicher wurde aber: Was die Autorinnen über die Gruppe 47 berichteten, was sie dort erlebten, zeigt diese aus einer so eigenen Perspektive, dass ich die Geschichte der Gruppe und der Nachkriegszeit miterzählen muss. (Man muss also nichts über die Gruppe 47 wissen, um das Buch zu verstehen.) Und je mehr Berichte, Anekdoten und Rezensionen ich las, desto deutlicher wurde: Es gibt erschreckende Gemeinsamkeiten im Umgang mit diesen Schriftstellerinnen und ihrem Werk. Wie krass das letzte Kapitel meines Buches ausgefallen ist, wo mich diese Recherchen hingeführt haben, habe ich selbst anfangs noch nicht kommen sehen. Aber die Quellen sprechen für sich.

Ein paar Interviews habe ich schon gegeben zu „Einige Herren sagten etwas dazu“. Tobias Rüther hat mich für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung interviewt, hier nachzulesen (Bezahlschranke), und hier habe ich auf Deutschlandfunk Kultur in der Sendung Lesart ein bisschen erzählt (11 Minuten). Das erste Kapitel des Buches ist übrigens online nachzulesen, unter Leseprobe hier auf der Website von Kiepenheuer & Witsch. In den nächsten Wochen bin ich mit dem Buch unterwegs, lese am 13.2. im Literarischen Colloquium in Berlin, am 16.3. im Centralkomitee in Hamburg, am 21.3. in Leipzig in der Deutschen Nationalbibliothek, in der Woche darauf in Düsseldorf und Köln, Ende April in Ingolstadt, Karlsruhe und Basel – ich verlinke das alles noch unter „Veranstaltungen“ hier auf dem Blog, sobald die Termine alle online sind. Weitere Orte folgen im Laufe des Jahres. Vielleicht sehen wir uns in einer der Städte? Ich würde mich freuen!

Nicole Seifert

Veröffentlicht von

Nacht und Tag Literaturblog

Leserin, Autorin, Übersetzerin

5 Kommentare zu „„Einige Herren sagten etwas dazu“

  1. Liebe Frau Seifert,

    ich habe das Buch diese Woche in einem Rutsch gelesen und bin begeistert! Schon Ihr erstes Buch hat mir außerordentlich gut gefallen!
    Ich freue mich auf weitere Veröffentlichungen von Ihnen und würde mich freuen, wenn Sie Ihr Buch auch in München vorstellen.

    Herzliche Grüße

    Like

  2. Hallo Frau Seifert,

    ich war gestern bei Ihrer Buchvorstellung im Literarischen Colloqium in Berlin und bin begeistert von Ihrer »archäologischen Arbeit«, wie Ihr Buch gestern beschrieben wurde. Ich habe es schon gelesen und mir antiquarisch 4 Romane von 4 Autorinnen, die zur Gruppe 47 gehörten und eher unbekannt sind, bestellt. Aber man glaubt es kaum, der Roman »Illusionen« von Ruth Rehmann wurde 2021 neu herausgegeben mit einem Nachwort von Prof. Dr. Werner Jung. Und was betont er zunächst, bevor er den Roman in eine Reihe mit Werken von G. Grass und weiteren Mitgliedern der Gruppe 47 stellt? »Dann aber erschien Ruth Rehmann, ein ebenso bacchantischer wie scheuer Typ, am Abend …… Parfüm ist auch dabei. Aber es gut, sogar ausgezeichnet.« (FAZ 1957, zitiert nach: Ruth Rehmann, Illusionen, AvivA Verlag, Berlin 2021, Nachwort S. 284).

    Herzliche Grüße

    Margret

    Like

  3. Hallo Frau Seifert,

    Ihr Buch ist sehr zu empfehlen!

    In Ihrer Zusammenfassung betonen Sie: »Die Autorinnen fanden eigene Wege, eine eigene Sprache, mit der sie sich in jeder Hinsicht von der unmittelbaren Vergangenheit, von den inhaltlichen und ästhetischen Vorstellungen der Nazis, abgrenzten.« (S. 271).

    Hier hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich weiter mit der politischen Situation auseinandergesetzt hätten. Denn meiner Meinung nach bewegten sich die Herren nur in ihrer eigenen »Blase« und sind dabei auch noch unglaubwürdig, denn folgende Themen wurden nicht besprochen, wie Sie betonen: »… die NS-Diktatur, die Verfolgung und Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens, Erinnern und Verdrängen der eigenen Verantwortung.« (S. 67). Sie machten sich gegenseitig etwas vor. Hans Werner Richter war der Annahme zu den Opfern zu gehören. »Um diese Haltung aufrechtzuerhalten, war es notwendig, die wahren Opfer zu ignorieren und zu verschweigen.« (S. 73). Diese Haltung war typisch für die damalige Zeit, man gehörte zu den Opfern und nicht zu den Tätern. Aber: Günter Grass war Angehöriger der Waffen-SS. Martin Walser war Mitglied der NSDAP und Flakhelfer. Und Siegfried Lenz war Mitglied der NSDAP. Alles Opfer? Die Gruppe 47 nahm sich selbst wahr »als antifaschistisch« (S. 75). Aber einige Teilnehmerinnen waren über diese Haltung sehr verärgert. So betonen Sie, dass besonders Christine Koschel darüber irritiert war, »dass in den Texten der hofierten Autoren und Preisträger dieser Zeit der Krieg und die Katastrophe des Dritten Reichs kaum vorkamen. Die geistige Atmosphäre in der Gruppe 47 gefiel ihr nicht.« (S.194).

    Herzliche Grüße

    Margret

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..