Welten der Wildheit und der Lebensfreude

„Zehn große Romane der Weltliteratur“, die „in keinem Bücherregal fehlen“ sollten – so kündigte die Süddeutsche Zeitung Ende Oktober in einer Anzeige ein neues Produkt an, das über ihren Onlineshop erhältlich ist. Das Besondere: Alle Autoren sind Männer. Und das ist reine Absicht, gezeigt werden soll nämlich, „wie vielseitig die Männerwelt wirklich ist“. Der Schuber mit dem wonnigen Titel Soulmates enthält allerlei zwischen Alexis Sorbas und Blade Runner. Satire? Leider nein.

Man fragt sich, worauf dieses „wie vielseitig die Männerwelt wirklich ist“ eigentlich reagiert. Und kommt schnell auf die Rede von den „alten weißen Männern“, die viele so persönlich nehmen. Da ist es natürlich eine Spitzenidee, einfach mal für einen Schuber nur solche Männer auszuwählen (tatsächlich sind fast alle weiß und tot) und zu zeigen, wie facettenreich die in sich so sind. Da gibt es nämlich Krieger, Liebhaber und Weise, Milliardäre, Polarforscher und Senatorensöhne, und alle sind Soulmates und verstehen sich prima. „Welten der Wildheit und der Lebensfreude, zwischen Packeis und Androiden“ treffen hier aufeinander, und zwar „mit Beziehungen und am Ende allein in der Erinnerung“. Abenteurer und einsame Helden also – aber waren das nicht genau die Klischees, denen hier entgegengetreten werden sollte? Mit Diversität ist jedenfalls ein bisschen was anderes gemeint, liebe SZ.

Am 11. November gab es unter der Überschrift „Große Fragen“ nun einen redaktionellen Beitrag zu dem Männlichkeits-Schuber, verfasst von Bernd Graff, der an der Idee und ihrer Umsetzung offenbar beteiligt war. Anders als in der Anzeige ist von der Vielseitigkeit der Männerwelt in diesem Text keine Rede mehr – möglicherweise wurde in der Zwischenzeit das allgemeine Augenrollen in den sozialen Medien wahrgenommen. Am Produkt ändert die Tatsache, dass die Idee dahinter nicht mehr unverhohlen ausgesprochen wird, leider nichts. Dass Autorinnen nun wie selbstverständlich nicht vertreten sind bei diesen „zehn großen Romanen der Weltliteratur“, die „große Fragen“ behandeln, ist nicht weniger vorgestrig.

Etwas anders würde sich die Sache darstellen, wäre ein weibliches Pendant geplant, ein Schuber mit Romanen von zehn Autorinnen. Schließlich haben wir die alle zu wenig im Regal stehen und zu wenig gelesen, schon weil sie von Kanon und Curriculum marginalisiert wurden und werden. Was natürlich nicht daran liegt, dass es keine entsprechende Literatur von Autorinnen gäbe. Man muss nur besser hingucken, eben weil Autorinnen schlechter rezipiert, kanonisiert und archiviert wurden. Es wäre also durchaus eine Idee, mal einen Schuber mit Romanen nur von Autorinnen herauszubringen, am besten nicht mit den wenigen, die eh schon jeder kennt. Auf Nachfrage zeigt sich aber – Überraschung: Solche Pläne gibt es bei der SZ momentan nicht.

Eine noch bessere Idee wäre es, wirklich auf Diversität zu setzen und denen einen Auftritt zu verschaffen, die bisher zu wenig gehört wurden und gerade ihre Stimme erheben. Es ließen sich so viele spannende Schuber denken, mit Literatur von Queeren, Frauen und Männern, von Weißen, Schwarzen und People of Colour. Denn, ja, sie alle haben Weltliteratur verfasst. Dann würde es interessant, weil dann nicht ausschließlich die Perspektiven perpetuiert würden, die wir alle schon zur Genüge kennen. Der Soulmates-Schuber dagegen ist rückwärtsgewandt und ausschließend.

Was steckt dahinter? Ist das nur „bräsig“, oder schon „bösartig“, wie es auf Twitter hieß? Ist das Ding einfach mit der heißen Nadel gestrickt? Oder zeugt es schlichtweg von einem beschränkten Blick und ist ganz unbewusst geschehen? (Und was wäre schlimmer?) Einen Hinweis darauf gibt der erwähnte SZ-Beitrag von Bernd Graff, der den Anfang von Der große Gatsby zitiert:

So oft du Lust hast, jemanden zu kritisieren, erinnere dich, dass kein Mensch auf der Welt ähnliche Chancen gehabt hat, wie du.

Das zitieren die Richtigen. Denn in der Tat wäre es an der Zeit, Privilegien zu reflektieren. Für alle, die für diese Edition verantwortlich sind, und für alle, die auf Positionen sitzen, auf denen sie entscheiden können, welchen Stimmen sie Gehör verschaffen, im Feuilleton, auf Podien, in Hardcover-Schubern mit Kanonanspruch. Weil wir im 21. Jahrhundert leben. Weil die Welt bunt ist. Und zur Hälfte aus Frauen besteht. Bernd Graff schließt seinen Artikel mit einem weiteren Great Gatsby-Zitat:

So schlagen wir uns durch, wie die Schiffe gegen den Strom, wobei wir unablässig in die Vergangenheit zurückgeworfen werden.

Und das ist doch ein irgendwie sehr treffendes Schlusswort.

Nicole Seifert

 

 

Veröffentlicht von

Nacht und Tag Literaturblog

Leserin, Autorin, Übersetzerin

18 Kommentare zu „Welten der Wildheit und der Lebensfreude

  1. Hi Nicole! You have a great blog, but calling jewish writers like Norman Mailer „white“ is questionable. Jewish people do not consider themselves as „white“. Maybe you can correct. Thanks, Sofia

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  2. Gerade eher zufällig bei Instagram von diesem beachtlichen Fauxpas der SZ erfahren und schon eine Reihe von Beiträgen mit Ausschnitten aus individuellen Bibliotheken gesichtet, die Literatur von Autorinnen zeigen. Ich habe auch überlegt, welchen Beitrag ich leisten könnte, kann aber auf die Schnelle nur auf die 39 ( von 200 ) Porträts von Schriftstellerinnen im Rahmen meiner Great-Women-Reihe im Blog verweisen. Da sind Nobelpreisträgerinnen, Journalistinnen, Lyrikerinnen vertreten neben Bestsellerautorinnen ihrer Zeit, begnadete Tagebuch- wie Briefschreiberinnen.
    Näheres hier:https://lemondedekitchi.blogspot.com/p/great-women-neu.html

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