Es ist was faul im deutschen Feuilleton

Ich bespreche auf meinem Blog fast nur Literatur von Frauen, denn die ist im Feuilleton unterrepräsentiert. Neben positiven Rückmeldungen höre ich dazu immer wieder zwei Kommentare: „Das Geschlecht spielt für mich bei der Auswahl von Büchern gar keine Rolle“ und „Muss denn immer alles Fifty-fifty sein?“ – Der Versuch einer Antwort, die dem Thema gerecht wird.

Wenn ich die Literaturseiten der FAZ oder der Süddeutschen aufschlage, ärgere ich mich regelmäßig, weil sich von drei Rezensionen mal wieder drei mit Büchern von männlichen Autoren befassen. Das ärgert mich nicht nur, weil mein Hauptinteresse Literatur von Frauen gilt, sondern vor allem, weil es bedeutet, dass Autorinnen nicht den Raum und die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.

Um meinen Eindruck zu objektivieren, habe ich im April 2018 eine kleine Zählung durchgeführt. Ergebnis: In der FAZ wie in der SZ wurden in diesem Monat auf den Literaturseiten 47 Bücher von männlichen Autoren besprochen, aber nur 16 von Autorinnen. Wenige Monate später wurde meine – natürlich nicht besonders belastbare – Stichprobe durch die Veröffentlichung einer Studie der Universität Rostock gestützt, die im Monat März 2018 über 2.000 Rezensionen aus 69 deutschen Medien (Print, Hörfunk und TV) sozialwissenschaftlich ausgewertet hat.

Bücher von männlichen Autoren werden häufiger besprochen

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Bücher von Männern in allen Medien (mit Ausnahme von Frauenzeitschriften) häufiger und ausführlicher rezensiert werden als die von Frauen. Genauer: Zwei Drittel der besprochenen Bücher stammten von Autoren, nur ein Drittel von Autorinnen. Interessant ist vor allem die Frage, wer sich womit befasst. Wie sich zeigt, besprechen die männlichen Kritiker nämlich zu drei Vierteln Werke von Männern, während das Geschlecht des Autors für Kritikerinnen offenbar keine Rolle spielt. Das Fazit der Studie lautet:

Autoren und Kritiker dominieren den literarischen Rezensionsbetrieb: Zwei Drittel aller Rezensionen würdigen die Werke von Autoren, Männer schreiben weit überwiegend über Männer und ihnen steht ein deutlich größerer Raum für Kritiken zur Verfügung. […] Diese Zahlenverhältnisse verweisen auf ein strukturell nachweisbares, geschlechterbezogenes Bias, eine Voreingenommenheit, im Literaturbetrieb und decken sich mit den Ergebnissen anderer Studien zu Geschlechterverhältnissen im Medienbetrieb.

Hinweise darauf, welcher Natur diese geschlechtsbezogene Voreingenommenheit sein könnte, gibt es zuhauf. Es ist noch nicht lange her, da verbreitete Marcel Reich-Ranicki auf allen Kanälen, Frauen könnten keine Romane schreiben, ihre eigentliche Domäne sei die Lyrik, und ohnehin müssten sie mit dem Schreiben ja aufhören, sobald sie Kinder bekämen. Und als Ende der Neunzigerjahre innerhalb kurzer Zeit viele Debütromane von Autorinnen erschienen, reanimierte Volker Hage für seinen betreffenden SPIEGEL-Artikel den Fünfzigerjahre-Begriff des „Fräuleinwunders“. Dass Frauen (und dann auch noch junge, gutaussehende) doch Romane schreiben können, war offenbar eine Überraschung.

Literatur von Autorinnen wird weniger ernst genommen

Nun wird, was verniedlicht wird, selten besonders geachtet. Dasselbe gilt für den problematischen Begriff „Frauenliteratur“, der nicht etwa als Abgrenzung zu dem Begriff „Männerliteratur“ verwendet wird (der quasi nicht existent ist),  sondern als Abgrenzung zu Literatur im Allgemeinen. Die Implikation: Was Frauen schreiben, ist auch für Frauen gedacht. Was Männer schreiben, betrifft alle.

Von der Annahme, dass kaum Literatur sein kann, was Frauen schreiben, zeugt auch die Kolumne, die Harald Martenstein veröffentlichte, als der Fachbereich Philosophie der Universität Oxford im vergangenen Jahr für die Leselisten eine Frauenquote von 40 Prozent einführte. In dem Text mit dem bezeichnenden Titel „Gute Nacht, Abendland“ äußert Martenstein die Sorge:

Wenn sie an den Schulen demnächst Brecht aussortieren, um Rosamunde Pilcher an seine Stelle zu setzen, wäre das schade, auch für die Schülerinnen.

Um das Offensichtliche einmal auszusprechen: Es geht ihm nicht um eine Alternative zu Heinz G. Konsalik, sondern zu Bertolt Brecht. Warum wohl nennt Martenstein nicht Anna Seghers, Irmgard Keun oder Christa Wolf? Er zieht es vor, so zu tun, als könnten Frauen nur Liebesschnulzen. Und er weiß sich sicher aufgehoben bei einer Redaktion, die ihm das durchgehen lässt. Abzuwerten, was Frauen schreiben, ist offensichtlich immer noch legitim. Nehmen Autorinnen sich Themen aus der Sphäre vor, die in vergangenen Jahrhunderten den Männern vorbehalten war, befinden Kritiker, wie die Autorin Tanja Dückers in einem Beitrag für Deutschlandfunk Kultur zusammenfasste, schnell, die Autorin habe sich „verhoben“:

Bei den männlichen Kollegen wird dagegen die „Welthaltigkeit“ und der „Mut ein schwieriges Thema zu bearbeiten“ gelobt. Beliebt ist auch die Herabwürdigung einer Autorin durch Lob: Da beginnt die Rezension nicht mit einem Satz über das Buch, sondern über das schöne Kleid oder den interessanten Lidstrich. Da wird einer Autorin gesagt, die Besprechung ihres neuesten Werks sei nur deshalb so gut ausgefallen, weil sich der Rezensent in das Foto der Autorin auf dem Buchrücken verliebt habe – anders sei die gute Kritik nicht zu erklären.

Veronika Schuchter von der Universität Innsbruck, die in einem großangelegten Forschungsprojekt die Wechselwirkungen von Lektüreerfahrung und Gender, von Kanon und Literaturkritik untersucht, hat beobachtet, dass Autorinnen von Kritikern häufig dafür gelobt werden, Stilmerkmale aufzugreifen, die als männlich gelten. Zum Beispiel heißt es dann, eine Autorin schreibe sehr analytisch oder distanziert, sie „seziert“ oder „nimmt auseinander“. Aber geht es darum, dass Frauen schreiben wie Männer, um dann von Männern dafür gelobt zu werden? Wohl kaum. Schön wäre, auf solche Zuschreibungen verzichten zu können. Aber so weit sind wir offenbar noch nicht.

Die Vorurteile sitzen tief

Eine entscheidende Ursache für die Schieflage ist unsere Lesesozialisation. Die Lehrpläne der Schulen sind männlich dominiert, genau wie „der Kanon“, dessen (sehr moderater) Aktualisierung sich überregionale Tages- und Wochenzeitungen so regelmäßig wie uninspiriert annehmen. Dass im Deutschunterricht mal ein Buch von einer Autorin gelesen wird, ist nach wie vor die Ausnahme, und so ist es für Jungen wie Mädchen von Anfang an normal, dass die Bücher, die ihnen als literarisch wertvoll präsentiert werden, von Männern stammen.

Dabei gibt es natürlich entsprechende Werke von Autorinnen, es gab sie immer schon, wenn auch früher aus bekannten Gründen weniger als heute. Man muss nur genauer hingucken und sie dann auch auswählen. Dabei geht es mir nicht mal um das Fifty-fifty-Argument, das angesichts des herrschenden Gefälles geradezu utopisch erscheint. Wie die Autorin Nina George, die an der Rostocker Studie maßgeblich beteiligt war, vorrechnet, „müsste der Büchnerpreis fortan 45 Jahre lang nur an Frauen vergeben werden“, um Parität zu erreichen. Denn auch bei der Vergabe von Literaturpreisen, von Arbeitsstipendien, bei Übersetzungen in andere Sprachen und bei den Summen, die für Manuskripte gezahlt werden, sind Autorinnen im Nachteil. Es ist einfach so: Wir alle haben mit Sicherheit sehr viel mehr Literatur von Autoren gelesen als von Autorinnen. Es gibt viel nachzuholen und Großartiges zu entdecken.

Die abendländische Kultur ist, wie die britische Althistorikerin Mary Beard in ihrem großartigen Buch Frauen und Macht nachzeichnet, seit Jahrtausenden darin geübt, Frauen den Mund zu verbieten. Seit den alten Griechen wird immer wieder definiert, in welchen Bereichen Frauen sich äußern dürfen respektive ernstgenommen werden (häusliche Sphäre) und in welchen nicht (öffentliche Sphäre). Bis heute bedient man sich dabei der immer selben Herabwürdigungen, wie Beard anhand zahlreicher aktueller Beispiele belegt.

Das Feuilleton hat die Macht, Büchern Wert zuzuschreiben oder abzusprechen, und es entscheidet, welche Titel überhaupt eine Bühne bekommen. Literatur von Autorinnen zu vernachlässigen ist eine Weise, Frauen nicht teilhaben zu lassen. Nicht ohne Grund ist genau diese Erfahrung ein wiederkehrender Topos weiblichen Schreibens, von Marlen Haushofer über Charlotte Perkins Gilman und Ingeborg Bachmann bis heute: zum Schweigen gebracht zu werden, zu verstummen, zu verschwinden.

„Difference is a teacher“

Das gehört zu den spannenden Entdeckungen, die ich mache, seit ich überwiegend Literatur von Frauen lese und für meinen Blog bespreche: wiederkehrende Topoi, weit über Naheliegendes wie die Erfahrung von Schwangerschaft oder Mutter-Kind-Beziehungen hinaus. Es sind zum Beispiel Themen wie Wut und Sprachlosigkeit, Bilder des Eingesperrtseins und der Flucht, Motive wie das der Doppelgängerin, die sich den Konventionen nicht beugt, die in verschiedenen Variationen durchgespielt werden von Deborah Levy und Barbara Gowdy, Claire Messud und Claire Fuller, Mareike Krügel und Elena Ferrante, Jennifer Kitses und Rachel Cusk, Lina Wolff und Meg Wolitzer, Julia Jessen und Delphine de Vigan. Es sind andere Erfahrungen, andere Perspektiven, die nach dem männerdominierten Lesen in der Schule und an der Uni nicht nur eine Abwechslung und eine Bereicherung sind, sondern geradezu eine Offenbarung.

Romane bringen uns fremde Erfahrungen und Gefühle näher. Lesen heißt nachempfinden, es lehrt Empathie. Und deshalb hat es Folgen, wenn Mädchen qua Lektüre zwar von klein auf männliche Perspektiven einnehmen, Jungs aber so gut wie keine weiblichen. „Difference is a teacher“, bringt es die Australierin Hannah Gadsby in ihrem wunderbaren Bühnenprogramm Nanette auf den Punkt.

Margaret Atwood sieht im Schreiben wie im Lesen von Romanen einen gesellschaftlichen Wert, weil man sich dabei automatisch in jemand anderen hineinversetzt, ob nun in eine Schwarze oder eine Weiße, einen Hetero- oder einen Homosexuellen, einen Underdog oder eine Mächtige, eine Mutter oder eine Kinderlose, eine Feministin oder einen Macho, einen Mann oder eine Frau. Was man auf diese Weise erfährt, bringt einander näher und bewirkt, dass wir einander besser verstehen. Und darum geht es doch.

Nicole Seifert

Quellen

  • Institut für Medienforschung der Universität Rostock und das Forschungsprojekt #Frauenzählen, „Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“, Berlin, Oktober 2018, www.frauenzählen.de – Hier findet sich auch eine Auflistung deutscher und internationaler Studien zu Geschlechtergerechtigkeit bei Literaturpreisen, Übersetzungen usw.
  • Volker Hage, „Ganz schön abgedreht“, DER SPIEGEL12/1999
  • Harald Martenstein, „Gute Nacht, Abendland“, ZEIT MAGAZIN, 21/2018
  • Tanja Dückers, „Die subtile Machtausübung der Männer“, Deutschlandfunk Kultur, 24.5.2018
  • Veronika Schuchter im Gespräch mit Tanya Lieske, „Der Kanon ist einfach ein männlich dominierter“, Deutschlandradio, 19.7.2018
  • Nina George im Gespräch mit Joachim Scholl, „Die machtlose Mehrheit“, Deutschlandfunk Kultur, 2.3.2017
  • Mary Beard, Frauen und MachtEin Manifest, Frankfurt: S. Fischer Verlag, 2018
  • Hannah Gadsby, Nanette, 2018 (zu sehen auf Netflix)
  • Margaret Atwood, „Männer gestalten: Romanfigur Mann“, in: Atwood, Aus Neugier und Leidenschaft, Gesammelte Essays, München: Berlin Verlag, 2017

 

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Nacht und Tag Literaturblog

Leserin, Autorin, Übersetzerin

43 Kommentare zu „Es ist was faul im deutschen Feuilleton

  1. Sehr schöner, informativer Artikel! Das mit der literarischen Sozialisierung an der Schule ist echt ein Trauerspiel. Ich kann mich an gerade ein Buch von einer Frau erinnern, das wir im Deutschunterricht gelesen haben.

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  2. Hallo,
    dieser Blog ist für mich eine tolle Entdeckung. Ich hatte schon einen enthusiastischen Kommentar geschrieben, der aber beim Einloggungsvorgang anscheinend verloren gegangen ist. Vielleicht taucht er auch wieder auf. Egal, ich werd hier in Zukunft sowieso noch öfter kommentieren.
    Ich selbst schreibe gerade in Folgen zu je hundert Worten in einem speziellen Männergenre und freue mich über jede, die mal einen Blick auf „Wendekreis“ wirft und ihre Meinung abgibt.

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  3. Danke für den schönen Artikel! Schreiben wir weiter über Frauen und die tollen Bücher, die sie produzieren! Treiben wir einen Keil in dieses sich selbst reproduzierende Männerliteraturkarussel! 😉

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  4. Liebe Nicole,
    Was für ein interessanter, wichtiger und informativer Artikel. Hab vielen Dank dafür. Da waren wirklich viele spannende Gedankenanstöße dabei und Aspekte, über die ich noch gar nicht nachgedacht habe. Vielen Dank für diese Anregungen. Ich geh gleich mal nachzählen, wie viele Bücher von Frauen ich 2018 gelesen und rezensiert habe.
    Liebe Grüße, Julia

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      1. Gelesen habe ich 41 Bücher von Autorinnen, 66 von Autoren. Da werde ich dieses Jahr mal bewusst auf eine andere Verteilung achten. Aber auf meinem Blog besprochen habe ich mehr Bücher von Frauen, 21 zu 16. Unter meinen Jahreshighlights sind auch fast nur Bücher von Frauen. Noch ein Grund mehr, mehr Bücher von Frauen zu lesen. 🙂

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  5. Danke für den klugen Artikel. Mir fällt auf, dass Kinderliteratur noch stark von Frauen geprägt ist und von Jungen gern gelesen wird. Wie schade, dass sie dann als Heranwachsende mehr oder weniger unterbewusst suggeriert bekommen, Bedeutendes in der Literatur hätten nur Männer geschaffen.

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  6. Hallo,
    Ich bin selbst nur am Rande im Literaturbetrieb tätig (Marketing für größere Verlage). Aber ich bin über die Büchervermarktung immer in sehr engem Kontakt mit sehr vielen der Lektoren dort. Dabei bekomme ich in Gesprächen natürlich die unzähligen Manuskripte und Exposés, mit denen sie sich beschäftigen müssen, mit. Also sowohl was über Agenten, unaufgefordert oder gewollt und sogar angefragt auf den Tischen der Verlage landet. Neulich haben wir in einer kleinen Runde über den Frauen-AnteilI (und den von Migranten) in der Literatur gesprochen. Wir tippten (rein gefühlt) auf 75% deutsche Männer. Einzig die Liebes- und Erotik-Roman-Welt ist komplett in Frauenhand. Auch bei Young Adult sind die Frauen in der Mehrzahl. Ich weiß nicht, warum das so ist und die Lektoren (übrigens meistens Frauen) wissen darauf auch keine Antwort. Liegt es an dem Gefühl vieler Frauen „ich habe eh keine Chance in der Welt der großen Literatur“? Liegt es an der viel zu kleinen Sichtbarkeit der Frauen in der Presse? Übereinstimmung herrschte aber im Gefühl, dass Frauen prozentual genauso viel Mist schicken, wie Männer. Aber auch genau so viel tolle Manuskripte.
    Die Geschichte von Dörte Hansen ist ein ganz gutes Beispiel für die These von der Unsichtbarkeit von schreibenden Frauen in den Rezensionen. Erst die Begeisterung der Buchhändlerinnen machte den ersten Roman zum Erfolg. So geht zumindest die Legende.
    Grüße
    Sepp

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    1. Danke für Deinen Beitrag. Ich habe selbst jahrelang in den Lektoraten großer Publikumsverlage gearbeitet und kann Dir in vielem zustimmen. Ich sehe zwei grundlegende Probleme: Frauen trauen sich in der Tat oft immer noch zu wenig zu (auch wenn es das Phänomen bei Männern auch gibt und umgekehrt auch andere Frauen, versteht sich, solche Aussagen sind natürlich immer mit Vorsicht zu genießen). Aber vor allem werden sie von Männern eben aufgrund der im Artikel beschriebenen Vorurteile anders begutachtet und vor allem anders platziert und vermarktet, was natürlich auch wieder was damit zu tun hat, wo sie besprochen werden und wo nicht. Nicht ohne Grund bestehen Autorinnen wie Meg Wolitzer oder Zadie Smith darauf, so abstrakte, plakative Cover zu bekommen wie beispielsweise ihr Kollege Jonathan Franzen. Solange auf ernstzunehmenden Romanen von Frauen Frauen zu sehen sind, die aufs Meer zu gucken – nun …

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      1. Interessant ist auch, was man mit den Vertretern erlebt. „Das Cover ist nicht weiblich genug…“ oder „da spürt man nicht, dass die Autorin für Frauen schreibt. Da müssen Blumen mit drauf“. Leider weiß ich nicht, wie man das anders ändern kann, als immer wieder darauf hinzuweisen. Und ich merke ja an mir selber, dass mir die Lust am Lesen eines Buches vergeht, wenn es zu sehr nach „Ohje, was nehmen wir noch ins Program? Lass uns mal irgendwas von ner Frau oder nem Migranten nehmen. Da haben wir noch nicht genug mit drin“ klingt. Das ist wie mit der Quote in Politik, Kultur und Industrie.
        Vielleicht ist es mit der Sichtbarkeit von Frauen wie mit der Sichtbarkeit von außergewöhnlicherer Literatur. Die Verlage brauchen mehr Mut. Mehr Mut zu ungewöhnlicheren Stoffen, ungewöhnlichere Autorenpersönlichkeiten und Mut, auch mal was zu riskieren. Nicht immer nur das gleiche Schema abfrühstücken. Internationaler Bestseller, zweites Buch von deutschsprachigem Bestseller, provokantes Sachbuch, Buch von Mann aus Talkshow, Krimi von nem Promi und was mit Pferden. Ich fand dieses „Heimat“ (halb gezeichnet und collagiertes und halb geschriebenes Buch)n einen ersten Schritt in so eine Richtung. Da haben sich die Penguins mal was getraut. Keine Ahnung, ob das Buch erfolgreich ist oder nicht…

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      2. Genau das meine ich! Aber natürlich finanziert all das „more of the same“ auch die literarischen / ungewöhnlichen / mutigeren Titel mit, die nur eine niedrige Auflage erleben und sich nicht selbst tragen würden.

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  7. Danke für diesen interessanten Bericht. Er bestätigt, was ich auch als Autorin und Medien-Nutzerin feststelle. Gezählt habe ich nie, aber die Bevorzugung der Männer zu bemerken war einfach. Sie existiert nicht nur bei Rezensionen, Preisverleihungen und sonstigen Auszeichnungen, sondern auch bei der Anführung der Namen von Autorinnen oder Schauspielerinnen. Ein Beispiel: sie hat drei Oscars, spielt die Hauptrolle, der Name des weniger bekannten männlichen Kollege, steht trotzdem an erster Stelle. Mein Roman „Nur zu zweit“, der vom Leben mit einem autistischen Kind handelt, wurde von vier Redakteurinnen rezensiert und einem Mann, der von einer weiblichen Redakteurin dazu verdonnert wurde. Ohne Unterstützung der Frauen ginge mein Buch unter wie ein Stein.

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  8. Interessant, allerdings nicht unerwartet. Meine Schulzeit ist lange her – mit SIcherheit haben wir mehr Bücher von Männern gelesen, es würde mir auch schwer fallen, Böll oder Lessing zu bereuen. Erinnern kann ich mich an Droste-Hülshoff, für die meine Lehrerin wohl eine Schwäche hatte. Anna Seghers kannte sie entweder nicht oder sie traute sich nicht, obwohl sie wohl gut zu ihr gepasst hätte.
    Ich werde mir wohl meine Wunschliste für dieses Jahr noch einmal anschauen – im letzten habe ich relativ viel „own voices“ gelesen, das möchte ich auch weiter tun. Wobei da die Situation in deutscher Sprache m.E. weit schlechter ist als auf Englisch. Ein weites Feld – ach so, Fontane-Jahr ist ja auch noch …
    LG
    Susanne

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  9. Danke für diesen beachten- und nachdenkenswerten Beitrag. Ich habe mir bei meinen Rezensionen unter frischvomstapel.wordpress noch nie Gedanken gemacht, ob der zu besprechende Titel von einer Autorin oder von einem Autoren stammt. Mag vielleicht daran liegen, dass ich schon genug damit zu kämpfen habe Titel zu finden, die sich mit dem von mir vorgegebenen Themengebiet Regionalia befassen. Spannend wäre zu wissen, wie die Geschlechterquote bei den Verlagen ist, wie viele Autorennen, wie viele Autoren tatsächlich anteilig herausgebracht werden. Spannend finde ich den Zirkelschluss, wenn Du schreibst, dass Du überwiegend Literatur von Frauen liest und besprichst. Machst Du da nicht genau das, was Du männlichen Kollegen vorwirfst?

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    1. Wenn es Dir um Regionalia geht, ist das vielleicht auch ein Kriterium zu viel. Und natürlich ist es kein Zirkelschluss. Wie dargestellt: Das Lesen in meinen ersten Lebensjahrzehnten war aus den beschriebenen Gründen so männerlästig, dass ich wohl kaum noch Parität erreichen werde, zumal ich ja weiterhin auch noch Bücher von Männern lese. Ich möchte nur gern vor allem die Autorinnen und Bücher nach vorne stellen, die vom Feuilleton meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten. Trotzdem behalte ich mir vor, die männlichen Autoren oder auch Bestsellerautorinnen zu lesen, die mich eben interessieren. Hinter Deinem Argument steckt der Gedanke des „reverse sexism“ – ein Thema, zu dem es viel zu lesen gibt. Die Frage dahinter: Kann es umgedrehten Sexismus geben in einer Gesellschaft, in der Macht und Kapital bei den Männern liegen? Auch ein weites Feld. Führt hier zu weit. Nur so als Gedankenanstoß 🙂

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      1. Danke für die prompte Antwort und den Gedankenanstoß, werde ich gerne aufgreifen. Wünsche einen guten Wochenstart

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  10. Nur wie soll man diesen Knoten lösen?
    Viele Autorinnen nutzen selbst den Begriff der Frauenliteratur als Verkaufsargument. Der Buchmarkt hat sich in den letzten 20 Jahren massiv auf die weibliche Leserschaft fokussiert, und auch dies wurde dankbar angenommen.
    Nur bewegt sich das ganze eben vollkommen außerhalb des Feuilleton, welches sowieso von immer weniger Lesern angenommen wird. Realistisch gesehen, ist die Veränderung ja längst da. Bloggerinnen und Vloggerinnen berichten heute über Bücher und haben mehr Reichweite, als die Dinosauriermedien. So gesehen ist es ein aussterbendes Problem.

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    1. Um Genreliteratur geht es mir überhaupt nicht, das ist ein ganz eigener Bereich, bei den Buchverlagen wie bei der Presse. Mir geht es ausschließlich um Literatur und um das, was im Feuilleton besprochen wird. Und in diesem Bereich ist es leider kein aussterbendes Problem, im Gegenteil. Das Feuilleton arbeitet erheblich daran mit, es zu perpetuieren.

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  11. Aber das ist doch das Problem. Die meisten Autorinnen sind vorallem im Bereich der Genreliteratur tätig. Während das Feuilleton eben gerade die Bereiche beachtet, wo meist wenig Autorinnen schreiben. Gerade im Selfpublishingbereich merkt man dieses Unterschiede extrem. Und dort gibt es keinen Verlagsfilter. Sprich da sieht man einfach die unterschiedlichen Interessen.
    Man kann ja die Menschen auch schlecht zu ihrem Glück zwingen.

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    1. Es mögen mehr Autorinnen Genre schreiben als Literatur, aber um die geht es mir nicht, über die habe ich auch nicht geschrieben. Mir geht es ausschließlich um den Bereich der Literatur, um Kunst, wenn Sie so wollen, und um die Autorinnen, die sich auf diesem Feld bewegen. Das mögen weniger sein als Männer (dazu gibt es leider noch keine belastbaren Zahlen), aber es sind viel mehr, als im Feuilleton sichtbar sind. Nicht ohne Grund denken viele bei Literatur von Frauen gleich an Genreliteratur: Literarische Texte von Frauen kommen weniger vor. Aber jetzt wiederhole ich mich, das steht ja im Artikel.

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  12. Mit Verlaub, die Aussage „Es mögen mehr Autorinnen Genre schreiben als Literatur …“, ist aber genau das Problem, das scheinbar viele nicht erkennen. Es ist die Abwertung bestimmter Formen der Literatur, dass manche Menschen in der Literaturszene tatsächlich zwischen Genre und Literatur unterscheiden, obwohl Literatur der Oberbegriff ist, und Genre der Unterbegriff. Das ist genauso, als würde jemand zwischen Mensch und Frau unterscheiden.
    Ich denke solange diese Barriere in den Köpfen vieler Literaturmenschen existiert, wird sich nichts ändern.

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    1. Ich werte das gar nicht ab, ich habe selbst Unterhaltungsromane veröffentlicht. Genre ist aber nicht mit Hochliteratur gleichzusetzen – auch wenn die Grenzen fließend sind, lassen sich die meisten Werke hier doch klar zuordnen, über sprachliche, aber auch inhaltliche Kriterien. Und ich habe mich in dem Artikel, um den es hier in den Kommentaren geht, nicht dem Thema Genre gewidmet. Missverständlich ist in der Tat, dass „Literatur“ zugleich der Oberbegriff ist.

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  13. Leider fehlt dem Blog-Beitrag eine queere Perspektive und eine Argumenation, die über eine bipolares Geschlechtersystem hinausgeht. Queere Literatur bzw. Literatur von queeren Autor_innen bzw. mit queeren perspektiven (von Lesben, Schwulen und Trans*Menschen) wird vom Feuillton auch völlig ausgespart. Durch das Auslassen dieser Perspektive (Schwule Männer sind auch Männer – nicht nur heterosexuelle!) verfestigt dieser Artikel das weiter. Sprich: Er redet gegen eine Diskriminierung an, zementiert dabei aber eine gelichzeitg eine weitere / andere.

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  14. Erst einmal Danke für diesen interessanten Blog und meiner Meinung nach sehr wichtigen Beitrag!

    Erfrischend ist es im Ö1 Radio Literaturempfehlungen zu hören, dort werden regelmäßig Sachbücher zu einer bestimmten Thematik vorgestellt. Zwar habe ich keine Studie durchgeführt und keine Zahlen parat – doch finden sich jedesmal Bücher von Frauen sowie Männer in diesen Beiträgen.

    Und das auch noch in diesem Genre 😉 Es geht also doch!

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  15. Es scheint als seien Deine Leser überwiegend weiblich. Und da ist der Knackpunkt. Die Leser der SZ and FAZ sind überwiegend männlich. Männer kaufen Zeitungen, Frauen kaufen Magazine. Dort in den Magazinen gibt es viel mehr weibliche Autoren. In den Schulen ist es ähnlich. In den Grundschulen, wo es überwiegend weibliche Lehrkräfte gibt, werden weibliche Autoren bevorzugt. Auf den weiterführenden Schulen kommen dann mehr und mehr männliche Autoren dazu. Wir hatten damals eine Frau zur Direktorin. Also wurde Christa Wolfs Medea gelesen. Frauen fördern Frauen. Männer fördern Männer. Das ist die Tendenz.
    Thorsten J. Pattberg, Autor der Lehre vom Unterschied

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    1. Danke für den Kommentar, ich muss allerdings sagen, dass er mich erstmal ziemlich sprachlos gemacht hat, weil er der Komplexität des Themas in keiner Weise gerecht wird. So viele Stereotype begegnen mir hier doch sonst eher selten. 1. Frauen kaufen überwiegend Magazine? Auf welchen Zahlen beruht diese Aussage? Meine Leserinnen lesen, wie ich, zu sehr großen Teilen FAZ, ZEIT, SZ und andere Zeitungen. Bildung ist unter Frauen nicht weniger verbreitet als unter Männern. 2. Frauen fördern Frauen, Männer fördern Männer? Auch so eine Verallgemeinerung. Manche Frauen fördern leider ihrerseits Männer, genau wie es Männer gibt, die Frauen fördern (nur viel zu wenige). 3. Wenn man eine Direktorin hat, liest man Christa Wolf? Wir hatten einen Direktor, Christa Wolf ist eine der wenigen Autorinnen, die in den 80ern auf dem Lehrplan stand. Denn Direktor*innen müssen sich an Lehrpläne halten, diese sind durch den Kanon geprägt, dieser ist durch männliche Autoren geprägt. Viel Bewegungsfreiheit haben Lehrkräfte da leider nicht, auch die nicht, die etwas ändern und mehr Autorinnen unterrichten wollen.

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  16. Hi, ich bin Deutschlehrer in der Oberstufe und immer auf der Jagd nach Texten zur Sprache, zum Kulturbetrieb, Medienkultur etc. Wenn ich auf Anregung Ihres Blogbeitrags die Namen der Autoren und Autorinnen überfliege, die ich meinen Schülerinnen und Schüler vorlege, dann sind es geschätzt 90% Männer. Also ja, der Meinungsmarkt zur Kultur wird von Männern dominiert. Schule gibt das weiter.

    Ich weiß nicht, ob es ein typisches männliches Schreiben gibt. Darf man Männern unterstellen, sie würden besonders analytisch schreiben, Frauen wären besonders emphatisch? Suchen Frauen in ihren Texten Vermittlung, Verständnis und Ausgleich, die Herren aber vertreten starke Meinungen, polarisieren und üben sich brusttrommelnd in schwieriger Sprache?

    Keine Ahnung, eine schubladengesteuerte Ideologieanalyse zementiert solche Haltungen. Da gebe ich mir lieber etwas mehr Mühe bei der Textsuche und lasse mehr Frauen zu Wort kommen.
    Ich mag ihren Blog, zwischen den vielen Schreienden eine Wohltat. Herzlichen Glückwunsch noch zum Erfolg in Frankfurt.

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    1. Vielen Dank, das freut mich sehr! Ich halte dieses männlich=analytisch, weiblich=empathisch für das nächste gefährliche Klischee. Genau das gerät aber in Bewegung, wenn man mehr Autorinnen zu Wort kommen lässt, ich hoffe, die Lehrpläne setzen Ihnen da keine zu engen Grenzen. Viel Erfolg und viel Vergnügen!

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    2. Lieber Frank.
      Ich selbst leide selbst unter solchen Klischees. Ich kenne kaum ein männliches Klischee, dass auf mich zutreffen würde, umgekehrt bediene ich viele weibliche. Das könnte mir egal sein, wenn ich mich durch mein Mann-Sein in geselligen runden nicht immer fremd fühlen würde. Ich werde stets nur als Mann gesehen und behandelt, und nicht als jemand mit diesen oder jenen Charakterzügen, Eigenarten und Bedürfnissen. Wie oft wird alles Mögliche am Geschlecht festgemacht? Das bekommt man auch als Mann zu spüren, nicht nur als Frau.
      Ich weiß echt nicht, warum z.B. im Melderegister noch immer das Geschlecht vermerkt ist. Für was bitteschön hat das eine Relevanz?? (außer in der Medizin)

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  17. Wow! Ziemlich erhellender Artikel. Mir (männlich) war das lange nicht bewusst (ich lese aber auch nicht viel).
    Neulich aber in einem Autorenkreis hat ein älterer Herr neun erfolgreiche Dichter des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorgestellt. Alles Männer. Als sich eine anwesende Frau darüber beschwerte, behauptete er, es habe in der Zeit nun mal keine erfolgreichen Dichterinnen gegeben. Das habe ich (selbst völlig unwissend) zuhause meiner Frau (Germanistin, wissend) berichtet, und die hat sich fürchterlich empört und mir aus dem Stegreif mehrere passende Autorinnen aufgezählt (die ich Banause leider alle wieder vergessen habe). Für mich war dies der erste Moment, in dem ich mit dem Problem konfrontiert wurde, dass Autorinnen in gelehrten Köpfen (jener Mann ist nun wirklich sehr gelehrt) unterrepräsentiert und völlig unterbewertet sind und waren.
    Jetzt lese ich hier in anderer Form davon und kann nur sagen, dass ich einmal mehr entsetzt bin 😦
    Danke für diesen Artikel 🙂

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  18. Ah, vergessen:
    Natürlich sind es nicht nur die Frauen, die mit schlechtem Image im Literaturbetrieb zu kämpfen haben. Was z.B. ist mit Selfpublishern? Heute noch las ich den Satz: „Ich lese […] außerdem prinzipiell keine Bücher von Selfpublishern.“ Das hat mich (selbst Selbstverleger) bis ins Mark getroffen. Ich komme mir dann immer vor wie Aussatz.
    Natürlich ist mir klar, wie es zu so einer Meinung kommt. Auch ich kenne die selbstverlegten Bücher – und die scheinen mir tatsächlich die Mehrheit zu bilden –, die einzig mit Rechtscriebfelern gefüllt scheinen, die einfach langatmig, langweilig und nichtssagend sind, für die einem die Lebenszeit einfach zu kostbar ist. Abgesehen davon, dass ich Bücher aus renommierten Verlagen kenne, die nur kaum besser sind als diese, sind aber nunmal nicht alle selbstverlegten Bücher schlecht. Dieses oben zitierte Wort „prinzipiell“ entspricht dabei exakt der Aussage eines Reich-Ranicki über Frauen, die er über einen Kamm geschoren hat 😦
    Na ja, gut, nicht ganz. Wenn ich davon ausgehe, dass – wie in einem Kommentar hier gesagt – Männer und Frauen gleich viel Mist und gleich viel Großartiges schreiben, so ist das bei den Selfpublishern zugegeben nicht ganz so ausgeglichen 😉
    Selbstveregte Werke jedenfalls haben doch ziemlich grundsätzlich keine Chance aufs Feuilleton überhaupt, oder sehe ich das falsch?

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